Brief
aus einem Feldlazarett
Von
Stabsarzt Dr. W.
Man macht sich in der Heimat häufig eine ganz falsche Vorstellung
von einem Feldlazarett. Man sieht im Geiste Pfleger in einem wohleingerichteten
Krankenhaus walten und die Verwundeten in weissen Betten liegen. Der Schreiber
dieses konnte sich oft davon überzeugen, wie erstaunt selbst Offiziere
darüber waren, zu hören, dass die Feldlazarette keine Bettstellen
mitführen, sondern nur die leeren Strohsäcke. Freilich liessen
sie sich bald belehren, wenn man ihnen die Gegenfrage stellte, wie sie
sich wohl den Transport von 200 Bettstellen - für soviel Verwundete
ist ein Feldlazarett zumeist eingerichtet - ausmalen. Denn das Feldlazarett
ist eine mobile Formation, genau so wie die Sanitäts-Kompagnie. Beide
müssen der fechtenden Truppe, meist im Verbände der Gefechtsstaffel,
unmittelbar folgen, alle Anstrengungen und Entbehrungen mit ihr teilen,
immer zum Weitermarsch bereit sein. Dazu gehört, dass der Wagentross
auf das unumgänglich notwendige Mass beschränkt wird. Das Personal
eines Feldlazaretts besteht aus 6 Ärzten, 1 Oberapotheker, 2 Feldlazarett-Inspektoren
und 51 Mann, die sich aus dem Sanitätspersonal und den Trainfahrern
zusammensetzen. Die Zahl der Wagen beträgt 11, die der Pferde 31.
Was es heisst, in einem elenden Bauerndorfe, dessen Einrichtungen jeder
Hygiene Hohn sprechen und das von den Einwohnern verlassen ist, die nicht
nur ihren Hausrat, Betten und sonstige Möbel mitgenommen, sondern
auch noch alles, was dem Feinde nützen könnte, wie die Brunnen,
unbrauchbar gemacht haben, allein aus dem Inhalt der Wagen ein Lazarett
einzurichten, davon kann sich der Fernstehende nur schwer einen Begriff
machen. Und dass diese Arbeit in den Zeiten des Bewegungskrieges auch
auf dem westlichen Kriegsschauplatze häufig genug geleistet werden
musste, weil nicht überall ein Chateau vorhanden war, steht fest,
und wenn unserer braven Verwundeten auch unter solchen Verhältnissen
in den Feldlazaretten stets ein Unterkommen wartete, das zum mindesten
billigen Anforderungen genügte, so stellt das den Chefärzten
ein glänzendes Zeugnis aus.
Ist vom Korpsarzt der Befehl zur Errichtung des Feldlazaretts gegeben,
so sucht der Chefarzt zunächst die notwendigen Gebäude aus und
trifft seine Anordnungen über die Verwendung der Räumlichkeiten.
Ausser dem Chefarzt, einem Sanitätsoffizier im Range eines Oberstabsarztes
oder auch eines ältern Stabsarztes, dessen Tätigkeit hauptsächlich
eine verwaltende ist, befindet sich bei jedem Feldlazarett ein zweiter
Stabsarzt, der chirurgisch ausgebildet ist. Dieser übernimmt nun
sofort die Einrichtung des ihm überwiesenen Operations- und Verbinderaumes,
der meist auch gleichzeitig als Sterilisierraum dienen muss. Der Oberapotheker
richtet mit seinem Gehilfen die Apotheke ein, einer der Feldlazarett-Inspektoren
das Geschäfts- und Aufnahmezimmer, der andere Inspektor übernimmt
die Küche. In aller Eile werden die häufig recht verschmutzten
Räume ausgefegt und gründlich gelüftet, dann folgt das
Stopfen der Strohsäcke mit requiriertem Stroh, soweit nicht bei dem
Mangel an Zeit und der Aussicht auf baldiges Wiederabrücken überhaupt
auf das Stopfen der Strohsäcke verzichtet und ein Lagern der Verwundeten
gleich auf Stroh bevorzugt wird. Warten doch häufig genug, schon
während das gesamte Lazarettpersonal noch alle Hände voll mit
dem Einrichten des Lazaretts zu tun hat, zahlreiche stöhnende Verwundete
auf ihre Versorgung, und die Zahl vermehrt sich, von den Krankenträgern
eiligst herbeigeschafft, zusehends. Gerade in der ersten Zeit des schnellen
Vorrückens unserer unvergleichlichen Truppen in Frankreich war es
häufig so, dass die Sanitäts-Kompagnie der Truppe sehr bald
nachrücken musste, um sie nicht zu verlieren, und dass nun die Feldlazarette
den Dienst des Hauptverbandplatzes mit versehen mussten, so dass ein geordneter
Lazarettbetrieb häufig genug ein frommer Wunsch blieb. So galt es
denn in den ersten Stunden oft eine übergrosse Arbeit für Ärzte
und Unterpersonal zu leisten, doch wie überall, so liess auch hier
das deutsche Pflichtgefühl jede Schwierigkeit spielend über-winden.
Während des Bewegungskrieges wird es kaum ein Feldlazarett des XIX.
A.K. - die Verhältnisse bei ändern Korps werden wohl ähnlich
gelegen haben - gegeben haben, das länger als vierzehn Tage an einem
Ort aufgestellt war, die meisten mussten aber schon nach viel kürzerer
Zeit wieder abbrechen, um den Anschluss an das Korps nicht völlig
zu verlieren. Oft mussten in wenigen Stunden alle Vorbereitungen zum schleunigen
Wiederaufbruch beendet sein. Dass auch hier jeder Mann auf seinem Posten
sein musste, sollte die Sache klappen, das bedarf wohl keines besondern
Hinweises.
Jetzt, wo der Stellungskrieg sich nun schon monatelang hinzieht, ist eine
grössere Stetigkeit auch in den Betrieb der Feldlazarette eingezogen.
Unser Feldlazarett ist seit 22. Oktober 1914 in einem Kloster nordwestlich
Lilie eingerichtet, das wegen seiner grossen hellen Räumlichkeiten,
die im Frieden als Schulzimmer für die Klosterzöglinge dienten,
für Lazarettzwecke sich besonders eignet.
Durch eine grosse Toreinfahrt gelangen die Verwundeten in den Warteraum,
der zugleich als Vorraum für den zu ebener Erde rechts von der Voreinfahrt
gelegenen Operationsraum dient. Dieser erhält das für Operationen
so notwendige Licht durch zwei hohe, nach der Strasse zu gelegene Fenster.
Rings an den Wänden sind auf langen Tischen die notwendigen Vorräte
an Arzneien und Verbandmitteln, auf einem Tisch am Fenster die Instrumente,
soweit sie stets zur Hand sein müssen, ausgebreitet. Im Hintergrunde
des mit Steinfliesen ausgelegten Raumes steht in einer Ecke der Sterilisierapparat.
An der gegenüberliegenden Wand haben die Waschbecken zum Reinigen
der Hände Aufstellung gefunden. Die Mitte des genügend grossen
Raumes wird von dem aus zwei schmalen langen Tischen hergestellten Operationstisch
eingenommen, dessen Anblick vielleicht manchem verwöhnten Chirurgen
aus der Heimat ein mitleidiges Lächeln entlocken würde, der
aber seinen Zweck vollkommen erfüllt, und dessen einfache Beschaffenheit
sicher keinem aus der grossen Zahl Schwerverwundeter je zum Nachteil gereicht
hat. An den Warteraum schliessen sich auf der ändern Seite die Krankensäle
für Frischoperierte an, die teilweise mit requirierten eisernen Bettstellen
mit Sprungfedermatratzen versehen sind, teilweise auch schon selbstgezimmerte
Holzbetten einfachster Art aufweisen, wo auf quergenagelte Holzbretter
der gefüllte Strohsack zu liegen kommt, und die auf den ändern
Krankensälen ausschliesslich Verwendung finden müssen. Erwähnt
sei ausdrücklich, dass die Verwundeten mit ihrem Lager in den einfachen
Betten sehr zufrieden sind. Insgesamt hat das Lazarett sechs grosse Säle
des Klosters mit Betten belegt. Dazu kommen noch die Räume in drei
Nachbarhäusern, die der Chefarzt ebenfalls für Verwundete mit
Beschlag belegt hat. Der durchschnittliche Bestand des Lazaretts an Verwundeten
beträgt 150. Grossen Vorteil zieht das Lazarett aus dem Vorhandensein
der Nonnen, die bereitwilligst an der Versorgung der Verwundeten, wenn
auch nur mittelbar, sich beteiligen. Nicht nur die gesamte Krankenwäsche
wird von den Nonnen gewaschen, auch die Klosterküche samt Köchin
wird zur Bereitung der Krankenkost gern überlassen, und eine in Paris
in der Krankenpflege ausgebildete Nonne macht sich bei der Reinigung der
Instrumente und bei sonstigen Handreichungen im Operationssaal nützlich.
Die meisten Verwundeten werden erst nachts ins Feldlazarett eingeliefert,
da es tagsüber meist unmöglich ist, sie ungefährdet aus
den Schützengräben zurückzubringen. Ein Hauptverbandplatz
als Zwischenstation zwischen Truppe und Feldlazarett besteht hier nicht,
weil er durch die Verhältnisse sich als überflüssig erweist.
Dazu liegt das Feldlazarett zu weit vorn (etwa vier bis fünf Kilometer
hinter unsern Schützengräben). Ohne Schwierigkeiten kann das
Feldlazarett die Arbeit des Hauptverbandplatzes gleich selbst übernehmen.
Das ist nur zum Vorteil der Verwundeten, weil sie auf diese Weise schneller
in geordnete Lazarettpflege kommen. Man muss das glückselige Schmunzeln
in den Zügen der Verwundeten gesehen haben, wenn sie aus dem Morast
des Schützengrabens in ein frisch bezogenes Bett zu liegen kommen.
So gut haben sie meist seit den Tagen der sorglosen Kinderzeit nicht wieder
geschlafen, wie in dieser ersten Nacht im Lazarett. Freilich, ganz sicher
sind sie im Feldlazarett nicht, denn auch hier gibt der Feind von Zeit
zu Zeit seine Karte in Gestalt einer explodierenden Granate ab. |